Am 12.November veröffentlichte der Rat der Volksbeauftragten sein "sozialistisches" Regierungsprogramm. Durch das Programm wurde der Belagerungszustand und die Zensur aufgehoben, die Gesindeordnung und der Hilfsdienst abgeschafft sowie das allgemeine Wahlrecht - das erstmals auch Frauen ein aktives und passives Wahlrecht zusprach - ab 20 Jahren eingeführt. Alle politisch Inhaftierten erhielten Amnesie und es wurde die Vereins-, Versammlungs- und Pressefreiheit erlassen. Auf Grundlage des Arbeitsgemeinschaftsabkommens wurde der 8-Stunden-Tag vorgeschrieben und die Leistungen der Erwerbslosenfürsorge und der Sozial- und Unfallversicherung ausgeweitet.
Die kleinen bürgerlichen Parteien, die sich alle für eine baldige Einberufung einer Nationalversammlung aussprachen, organisierten sich nun in Großverbänden neu. So entstanden in der Zeit zwischen November 1918 und Januar 1919 die Deutsche Volkspartei, die Deutsche Demokratische Partei (DDP) und die Deutsch Nationale Volkspartei (DNVP).
Der Reichstag war bereits seit dem 9.Novenber nicht mehr einberufen worden; die Regierung hatte sich mit dem Austritt der sozialdemokratischen Minister aufgelöst und an ihre Stelle waren der Rat der Volksbeauftragten und der Vollzugsrat getreten.

Trotz aller Neuerungen wurde die alte Ordnung jedoch grundlegend nicht verändert: alle Staatssekretäre, Abgeordneten, Polizisten, Beamten, Offiziere usw. blieben in ihren Positionen und führten ihre Arbeit in der Form fort, wie sie es auch vor dem 9.November getan hatten.
Am Beispiel der Außenpolitik wird dies besonders deutlich: von den 44 höheren Beamten im Auswärtigen Amt waren auch nach dem 9.November ca. die Hälfte adliger Abstammung. Der Staatssekretär des Amtes, Wilhelm Solf, wies nach alter Tradition sogar die russischen Hilfs-Getreidelieferungen an der Grenze zurück, obwohl sie bei dem herrschenden Notstand dringend gebraucht wurden. Grund dafür war, dass man seit der Ausweisung der Botschafter am 4.November keine diplomatischen Beziehungen mehr mit Russland unterhielt und daher solche "bolschewistischen Geschenke" nicht einfach annehmen konnte.

Die SPD zog es eindeutig vor mit der alten Verwaltung zusammenzuarbeiten, als auf die gebildeten Arbeiter- und Soldatenräte zuzugehen, was zu Konflikten mit dem Vollzugsrat führte. Die Räte empfand besonders Ebert als störend, da sie sich nicht durch eine einheitliche Meinung auszeichneten und diese auch je nach Interessenlage der Menschen, die sie vertraten, recht oft wechselten. "Das Herum- und Hereinregieren der Räte in Deutschland (müsse seiner Meinung nach endlich) aufhören."
Friedrich Ebert am 13.November zitiert nach: Maser, Werner: "Friedrich Ebert". München 1987; Seite 207

Die SPD schätzte die Macht der Revolutionäre, insbesondere die des Spartakusbundes, sehr hoch ein, aber die Räte waren keineswegs durch diesen kontrolliert.
Zwar hatten in einigen deutschen Städten wie Leipzig, Hamburg, Bremen, Chemnitz und Gotha die Arbeiter- und Soldatenräte die Stadtverordnetenversammlungen aufgelöst und die Verwaltung unter ihre eigene Kontrolle gestellt. In Braunschweig, Düsseldorf, Zwickau und Mühlheim a.d.R. waren zudem alle kaisertreuen Beamten verhaftet worden und in Hamburg und Bremen "Rote Garden" gebildet worden, die die Revolutionäre schützen sollten. Auch in den Leunawerken bei Merseburg hatten bolschewistische Räte die Konzerndirektion für abgesetzt erklärt und das Unternehmen unter ihre Kontrolle gestellt.
Oft waren die Mitglieder der Räte, die nicht selten geldgierig und eigennützig handelten, nur rein willkürlich durch Zurufe bestimmt worden.
Doch diesen extremen stand auch eine sehr große Anzahl an gemäßigten Räten in Deutschland gegenüber, die sich ohne Probleme mit der alten Verwaltung arrangierten und gemeinsam mit ihr dafür sorgten, dass schnell in den Städten und Betrieben wieder Ruhe einkehrte. Sie übernahmen die Verteilung der Nahrungsmittel, übten die Polizeigewalt aus und kümmerten sich um den Dienstplan, die Unterbringung und die Verpflegung der nach und nach heimkehrenden Frontsoldaten. Verwaltung und Räte waren aufeinander angewiesen: die einen hatten die Kenntnisse und Erfahrungen und die anderen den Einfluss diese umzusetzen.
Meist waren in die Räte SPD-Mitglieder gewählt worden, die sich auch selbst nur als Übergangslösung betrachteten. Eine Räterepublik stand nicht zur Debatte. Man wollte das durch die Revolution Erreichte, zu dem auch die neue Regierung gehörte, stützten und sah seine Aufgabe in der Abschaffung des Militarismus und des Obrigkeitsstaates.

Auch konnte man bei den Aktionen der Landbevölkerung von keiner "revolutionären Bewegung" sprechen. Es waren zwar lokale Bauernräte aus je drei Arbeitnehmern und Arbeitgebern gebildet worden, aber nachdem am 12.November in dem Aufruf des Rates der Volksbeauftragten "An die Landbevölkerung" die Abschaffung der Gesindeordnung und weitere Rechte für die Landarbeiter bekannt gegeben worden waren , fand man schnell in das Alltagsleben zurück.

Die Angst, dass Deutschland im Chaos versinken könnte, saß bei den meisten Menschen sehr tief. Mit den Demonstrationen und Streiks hatte man das so ersehnte Kriegsende herbeiführen wollen. Dieses Ziel war erreicht und nun wollten die meisten nur noch in Ruhe und Frieden leben und endlich die Schrecken der vergangenen vier Jahre vergessen. Insofern hatten nur wenige Verständnis für die Kampflust der Linksextremen. Man hatte doch erreicht was man wollte: der Kaiser hatte abgedankt, Deutschland war unter der Führung der größten Arbeiterpartei, deren Einigung man in Hinblick auf die innerdeutsche Stabilität begrüßte, auf dem Weg eine demokratische Republik zu werden und endlich schwiegen auch die Waffen. Jeder Bewegung, die diesen Zustand jetzt wieder gefährdete, musste daher Einhalt geboten werden.
Doch diese Bewegung ließ sich nicht so einfach unterdrücken. Viele Menschen in Deutschland wollten sich mit dem bis jetzt Erreichten nicht zufrieden geben. Die Revolution würde für sie erst beendet sein, wenn das alte System komplett zerstört sein würde, sprich, wenn keiner aus der Kaiserregierung mehr an seinem Platz wäre. Aber die, gegen die sich der Protest dieser Menschen richtete, waren eben jene, die die Ruhe und Ordnung in Deutschland verkörperten und daher die Volksmasse hinter sich hatten. Es war ein Kampf zwischen Riese und Zwerg, zumal Militär, Polizei, Regierung und Verwaltung den Kopf des Riesen bildeten. Der Körper vertraute dem Kopf, dass er seine Lebensgrundlage sichern würde.
So war es immer wieder ein schlagendes Argument, wenn die SPD gegen Streiks aufrief, befahl den Bahnverkehr nicht zu stören oder vor den zersetzenden Bolschewisten auf der Hut zu sein. Dies alles gefährde die Versorgung Deutschlands mit Lebensmitteln, deren Zusammenbruch die Menschen nach den erlebten Kriegswintern am meisten fürchteten (Flugblatt). Nicht umsonst hatte ihre Forderung "Brot und Frieden" gelautet. Diese Angst nutzte die SPD auch direkt um für ihre eigenen politischen Interessen zu werben: so hieß es in einem Flugblatt: "Ohne Nationalversammlung keine gesetzmäßige Regierung, ohne gesetzmäßige Regierung kein Frieden, ohne Frieden kein Brot. Schützt euch und eure Frauen und Kinder vor der Hungersnot. Verlangt die sofortige Einberufung einer Nationalversammlung."
Flugblatt aus der Akte XII., IV., 12 des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz

Es sollte zudem genau darauf geachtet werden die Friedensbedingungen einzuhalten, denn nur dann würde die "Hungerblockade" von den Alliierten aufgehoben werden. Außerdem war Deutschland auf die Versorgungshilfe der USA angewiesen, die bei Zuwiderhandlung gegen die Bedingungen eingestellt werden würde.
So hatten auch die Westmächte ein Druckmittel, die deutsche Regierung für ihre eigenen Interessen zu gewinnen und die bestanden auch schon 30 Jahre vor dem Kalten Krieg in der Verhinderung einer Ausbreitung des russischen bolschewistischen Systems. In einer Note vom 24.Dezember 1918 forderte die alliierte Waffenstillstandskommission das deutsche Heer dazu auf das "Baltikum so lange (zu) halten, wie die Alliierten (es) notwendig finden"
Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hrsg.): "Illustrierte Geschichte der Novemberrevolution in Deutschland". Berlin 1968; Seite 306
. Insofern war es ihnen auch wichtig, dass die Regierung hart gegen die Spartakisten, die als Führer der ganzen linken Bewegung und somit auch als Quelle allen Unheils angesehen wurden, vorging und so bot Wilson Ebert bereits am 25.November Hilfe im Kampf gegen die Revolutionäre an.
Und dieses harte Vorgehen konnte nur mithilfe der Militärs erfolgen.
Die OHL hatte eine Schlüsselposition bei der geordneten Rückführung der Fronttruppen eingenommen. Am 16.November hatte Hindenburg seine "Richtlinien für die Einwirkung auf die Truppe" bekannt gegeben, die allein die OHL für jegliche Agitation legitimierte. Der am 10.November erfolgte Befehl an die Offiziere die Soldatenräte (Textmaterial) zu übernehmen war im Westheer erfolgreich gewesen und so befürchtete man nun, dass die nach dem in Compiègne abgeschlossenen Waffenstillstandsvertrag heimkehrenden Fronttruppen zu stark von den Soldatenräten der heimatlichen Truppen beeinflusst werden würden. Daher wurde auch die "Rote Fahne" im Feldheer verboten.
Um eine weitere Bewaffnung der Räte durch Überläufer zu verhindern versprach man den Soldaten ab dem 15.November im Falle einer Entlassung aus dem Heer - durch die Waffenstillstandsbedingungen war man gezwungen das Heer auf 100.000 Soldaten zu reduzieren - 50 Mark Entlassungs- und 15 Mark Marschgeld, sofern sie alle ihre Waffen und Munition ablieferten.

Durch die Bereitschaft Hindenburgs und Groeners zu einer Zusammenarbeit mit dem Rat der Volksbeauftragten zeigten sich auch Kaisertreue und Offiziere dazu bereit, da sie in der SPD-Regierung und in Ebert das kleinere Übel im Gegensatz zu der USPD sahen. Man stützte Ebert "damit der Karren nicht noch weiter nach links rutscht"
Wilhelm Groener zitiert nach: Maser, Werner: "Friedrich Ebert". München 1987; Seite 168
. Zudem war die neue Regierung beeinflussbar und zu extremen politischen Richtungsänderungen fähig, wie man in den letzten Wochen gesehen hatte. Ebert hatte am 15.November sogar Prinz Sigismund von Preußen und dessen Frau die Ausreise gewährt.

Am 10.November marschierten die ersten Fronttruppen in Berlin ein, die von Ebert am Brandenburger Tor mit einem großen Empfang begrüßt wurden. Er rief ihnen zu - die Rede hatte übrigens Scheidemann verfasst - : "Kein Feind hat euch überwunden. Nun liegt Deutschlands Einheit in eurer Hand." (Flugblatt) Am 11.November wurden weitere Truppen durch Haase und Wels und am 12.November durch Scheidemann empfangen (Flugblatt). Man brauchte diese Soldaten um die Regierungsgewalt inne zu behalten und - besonders Ebert - hatte dabei die Unterstützung der Heeresführung.
So nahmen die Zugeständnisse, die man im Rat der Volksbeauftragten an die USPD-Mitglieder machte, in dem Maße ab, wie sich die Anzahl der heimkehrenden Frontsoldaten erhöhte und Ebert, der sich auf sein gutes Verhältnis zu Groener verlassen konnte, traf immer mehr eigenmächtige Entscheidungen. Als am 23.November 1918 der Vollzugsrat die Exekutivgewalt an den Rat der Volksbeauftragten übergab, wurde er in seiner Position noch mehr gestärkt.

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