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Verhandlungen der SPD mit Karl Liebknecht zur Bildung einer Regierung am 09.11.1918

Die Bedingungen, die gemeinsam aufgestellt wurden, lauteten:
1. Deutschland soll eine soziale Republik sein.
2. In dieser Republik soll die gesamte legislative, exekutive, jurisdiktionelle Macht ausschließlich in den Händen von gewählten Vertrauensmännern der gesamten werktätigen Bevölkerung und der Soldaten sein.
3. Der Ausschluß aller bürgerlichen Mitglieder aus der Regierung.
4. Die Beteiligung der Unabhängigen gilt nur für drei Tage als ein Provisorium, um eine für den Abschluß des Waffenstillstandes fähige Regierung zu schaffen.
5. Die Ressortminister gelten nur als technische Gehilfen des eigentlichen und entscheidenden Kabinetts.
6. Gleichberechtigung der beiden Leiter des Kabinetts.
Als Scheidemann diese Bedingungen unterbreitet wurden, erklärte er, daß er nicht glaube, daß sich seine Fraktion darauf einlassen werde. Er wolle sie ihr aber vortragen und Antwort geben. Antwort erfolgte gegen 9 Uhr und sie enthielt Folgendes:
zu 1. Diese Forderung ist das Ziel unserer eigenen Politik, indessen hat darüber das Volk durch die konstituieren Versammlung zu entscheiden.
zu 2. Ist mit diesem Verlangen die Diktatur eines Teiles einer Klasse gemeint, hinter dem nicht die Volksmehrheit steht, so müssen wir diese Forderung ablehnen, weil sie unseren demokratischen Grundsätzen widerspricht.
zu 3. Diese Forderung müssen wir ablehnen, weil ihre Erfüllung die Volkserhebung erheblich gefährden, wenn nicht unmöglich machen würde.
zu 4. Wir halten ein Zusammenwirken der sozialistischen Richtungen mindestens bis zum Zusammentraft der Konstituante für erforderlich.
zu 5. Dieser Forderung stimmen wir zu.
zu 6. Wir sind für die Gleichberechtigung aller Kabinettsmitglieder, indessen hat die konstituierende Versammlung darüber zu entscheiden.

Arbeitskreis Verdienter Gewerkschaftsveteranen beim Bundesvorstand des FDGB (Hrsg.): "Die Novemberrevolution 1918 und die deutschen Gewerkschaften". Berlin 1958
Erläuterung:
Die neue (am 9.November 1918 selbst ernannte) SPD-Regierung aus Ebert, Scheidemann und Landsberg war auf die Unterstützung der USPD angewiesen, wenn sie die Regierungsgewalt innebehalten wollte, da die USPD und mit ihr der Spartakusbund und die revolutionären Obleute den Kopf der sozialistisch-revolutionären Gruppe der deutschen Arbeiter und Soldaten bildete. Diese Gruppe war zwar zahlenmäßig recht gering, doch man musste sie ruhigstellen, wenn man die deutsche Republik schnell in stabile und geregelte Verhältnisse bringen wollte.
Daher forderte man die USPD-Führung und besonders den populären Sozialisten Liebknecht zu einer Zusammenarbeit auf. Dieser band seine Beteiligung an einer Übergangsregierung jedoch an die oben aufgeführten Bedingungen, die von der SPD-Spitze nicht akzeptiert wurden und schied somit aus der USPD-Regierungsmannschaft aus, die auf Druck der Basis schließlich doch am Morgen des 10.November aufgestellt wurde.